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Von der Normalisierung zur Entfremdung : Aufruf zum...

... Deutsch-Französischen Verhältnis

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Am 1. Januar 2009 hat eine neue Ära in der Geschichte Europas begonnen: Tschechien übernahm die Präsidentschaft der erweiterten Europäischen Union, wozu sich alle überzeugten Europäer nur gratulieren können.
Die tschechische Präsidentschaft zeigt, von welcher Bedeutung, trotz aller institutionellen Normalität, die europäische Geschichte ist, eine Geschichte, die in den vergangenen neoliberalen Jahrzehnten immer mehr als lästig und lässlich vernachlässigt worden ist. Die Folgen lassen sich am deutsch-französischen Verhältnis ablesen, es hat sich soweit „normalisiert“, dass es heute von Gleichgültigkeit und zuweilen sogar Misstrauen geprägt ist. Das beunruhigt uns zutiefst und deshalb fühlen wir uns berechtigt, ja, verpflichtet, zu bekunden, dass der europäische Einigungsprozeß nur dann Sinn hat, wenn ihm nicht das zum Opfer fällt, was wir – belehrt von der unheilvollen Vergangenheit – als Fundament für ein vereintes Europa aufgebaut hatten: die Zusammenarbeit von Frankreich und Deutschland, die auch die entscheidenden Impulse für alle Bereiche der europäischen Einigung gegeben hat und für die u.a. die Namen Adenauer und de Gaulle, Giscard d’Estaing und Schmidt, Kohl und Mitterrand stehen.

Jeder Verlust an historischem Wissen reduziert, fälscht oder liquidiert die Identität der Individuen und Nationen, die vereint handeln wollen. Es wäre verhängnisvoll, zu vergessen, welche gemeinsamen Wurzeln die deutsche und die französische Kultur haben, aber ebenso, wie der jahrhundertlange deutsch-französische Konflikt, insbesondere die Ablehnung der Französischen Revolution und ihrer demokratischen Ideale, diese gemeinsame Kultur beschädigte und die historischen Tragödien des 20. Jahrhunderts auslöste. Der antifranzösische Wahnsinn, der dem Nazismus zugrunde lag, führte zum furchtbarsten aller Kriege, dessen Nachwirkungen bis heute andauern und der nur einen positiven Aspekt hatte: die aus eben dieser grauenvollen Erfahrung erwachsene Einsicht in die Notwendigkeit einer engen deutsch-französischen Zusammenarbeit, deren Stärke darin lag, dass sie nicht nur eine Angelegenheit von Politikern, sondern von Künstlern, Schriftstellern, Wissenschaftlern, Lehrern und vor allem der deutschen und französischen Jugend war. Die Wiederentdeckung Frankreichs war einer der wichtigsten Beiträge zur Auferstehung Deutschlands, und Frankreich entdeckte allmählich ein zivilisiertes und demokratisches Deutschland wieder.

Dieser Verständigungsprozeß, der die Grundlage der europäischen Einigung bildete und bildet, wird heute, von Sonntagsreden abgesehen, ignoriert. Unter dem Vorwand von Sparmassnahmen wird in Deutschland und Frankreich vieles von dem zurückgefahren oder liquidiert, was als kulturelles deutsch-französisches Fundament eines Neuen Europa geschaffen war und bleiben muss. In den deutschen wie den französischen Medien und (von Arte abgesehen) speziell dem Fernsehen ist das jeweils andere Land zu einer terra rara oder incognita geworden. In Deutschland wie in Frankreich werden Kulturinstitute (Institut Français – Goethe-Institut) geschlossen. Die Gefährdung des Französisch-Unterrichts an deutschen Schulen und des Studiums der französischen Kultur an deutschen Universitäten wird mit Globalisierungzwängen gerechtfertigt, und in Frankreich verschwindet der Deutsch-Unterricht aus immer mehr Schulen und Universitäten. Ein Engagement der französischen oder der deutschen Regierung für eine größere kulturelle Präsenz im jeweils anderen Land ist nicht festzustellen, und der kulturellen Kommunikationslosigkeit ist, wie die vergangenen Monaten überdeutlich illustrieren; eine politische gefolgt: man glaubt sich zu kennen und weiß immer weniger voneinander, man hält seine geschichtliche Verantwortung für historisch abgegolten, und die wechselseitige Indifferenz wird damit gerechtfertigt, dass alle europäischen Staaten gleiche Bedeutung für Frankreich und Deutschland besäßen. Wie die gegenwärtige Krise zeigt, ist dies falsch: gemeinschaftliches deutsch-französisches Handeln ist für ganz Europa und darüber hinaus eine geopolitische, geschichtliche, ökonomische und kulturelle Notwendigkeit.

Aus all diesen Gründen ist die Sorge um das deutsch-französische Verhältnis auch immer eine Sorge um die Zukunft Europas. Angesichts des Scheiterns des exklusiv der Gegenwart verpflichteten Neoliberalismus, der allein dem Markt und dem Geld vertraut, verlangen wir von den Regierenden in Deutschland und Frankreich Rückbesinnung auf das deutsch-französische Verhältnis und damit Rückkehr zu einer aktiven Kulturpolitik. Wir rufen die Akteure der Zivilgesellschaft auf, die fahrlässige und geschichtsvergessene Preisgabe des besonderen deutsch-französischen Verhältnisses nicht hinzunehmen, sondern als Schriftsteller, Künstler, Kulturmittler, Wissenschaftler, Lehrer usw. jeder an seiner Stelle das Mögliche zu tun, der gegenwärtigen Entwicklung Einhalt zu gebieten. Die Zukunft des geeinten Europa hängt wesentlich von einer Renaissance der deutsch-französischen Beziehungen ab.

Prof. Dr. Wolfgang Asholt (Osnabrück)

Prof. Dr. Henning Krauß (Augsburg)

Prof. Dr. Michael Nerlich (Berlin/Clermont-Ferrand)

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